Betriebsgenehmigung nach § 6 LuftVG für den Flughafen Frankfurt Main;
Stellungnahme zur Entscheidung vom 24.09.2001
Pressemitteilung vom 22.10.2001
Von: @Kommunale Arbeitsgemeinschaft Flughafen Frankfurt/Main <2001-10-22>

Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung
Herrn Minister Posch
Postfach 13 29

65021 Wiesbaden

 

 

Sehr geehrter Herr Minister Posch,

 

die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Flughafen Frankfurt/Main begrüßt grundsätzlich das Bestreben des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, die Belastung der Bevölkerung durch Fluglärm schnellstmöglich auf ein Niveau zurückzuführen, das eine gesundheitliche Beeinträchtigung ausschließt.

Der Weg, der mit der getroffenen Entscheidung über die Änderung der Betriebsgenehmigung des Flughafen Frankfurt eingeschlagen wurde, wird jedoch nicht als geeignet angesehen, dieses Ziel zu erreichen, sondern wirkt – im Gegenteil – diesem Ziel kontraproduktiv.

 

I. Zur Einführung der Lärmkontingentierung

Durch die Einführung der Lärmkontingentierung ab dem Sommerflugplan 2002 anstelle der Beschränkung der nächtlichen Flugbewegungen wie im Winterflugplan 2001/2002 vorgesehen ist keine Reduzierung sondern eine Zunahme der Fluglärmbelastung für die Bevölkerung zu erwarten. Diese ist aufgrund einer Vielzahl von Faktoren abzusehen:

Erstens beinhaltet die Lärmkontingentierung die Möglichkeit, die Anzahl der Nachtflüge durch den Ersatz lärmintensiven durch lärmärmeres Flugmaterial erheblich zu erhöhen. Das nächtliche Ruhebedürfnis der Bevölkerung wird jedoch nicht nur durch einzelne sehr laute Flüge sondern in gleichem Maße durch lärmärmere Überflüge in zeitlich geringen Abständen gestört. Da auch die lärmärmsten Flugzeuge der Kategorie 1 dauerhafte nächtliche Ruhestörungen verursachen, ist die Möglichkeit zur Erhöhung der Anzahl der Nachtflüge um ein Vielfaches nicht vertretbar. Der bloße Vorbehalt weitergehender lärmbegrenzender Betriebsbeschränkungen durch die Genehmigungsbehörde reicht hier nicht aus.

Zweitens müsste, um eine tatsächliche Lärmreduzierung zu erreichen, die Höhe der Lärmkonten im Laufe der Jahre reduziert werden anstatt, wie vorgesehen, auf gleichem Niveau gehalten zu werden. Bei der in der Entscheidung vorgesehenen Regelung wird der Fluglärm auf dem Niveau von 2000 abzüglich 5 % eingefroren. Dies entspricht im Sommerflugplan einer Reduzierung um durchschnittlich 7,4 Lärmpunkte pro Nacht, die bereits durch den Ersatz einer einzigen Flugbewegung der Kategorie 5 durch eine Bewegung der Kategorie 4 erreicht werden kann. Von einer Reduzierung der Lärmbelastung, die im Jahr 2000 bereits "gebietsweise ein Maß erreicht, [bei dem] gesundheitliche Beeinträchtigungen nur durch Schutzmaßnahmen ausgeschlossen werden können" (Zitat aus der Begründung zur Entscheidung, S. 17), kann hier keinesfalls die Rede sein.

Drittens stellen die festgesetzten Lärmpunktekonten noch nicht einmal den möglichen Maximalwert dar: Bei Unterschreitung des Lärmpunktekontos eines Flugplans kann ein Drittel der nicht ausgeschöpften Punkte auf den Flugplan des Folgejahres übertragen werden. Diese Flexibilität stellt die gesamte Begründung der Einführung des Lärmkontingents in Frage. Danach stellt das im Jahr 2000 erreichte Lärmvolumen abzüglich 5 % das Höchstmaß für die Belastung der Bevölkerung dar. Ein solches Maß ist folglich als absolut anzusehen und kann nicht von Jahr zu Jahr je nach Inanspruchnahme des Lärmkontingents im Vorjahr variiert werden. Nicht im Mindesten stellt diese Verrechnung der Lärmpunkte einen "Anreiz für Lärmminderungen" dar, wie in der Begründung angegeben (S. 17).

Viertens betrifft die Lärmkontingentierung nur die Zeit zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr. In dieser Zeit werden laut Begründung 42 % der nächtlichen Bewegungen abgewickelt – für den überwiegenden Teil der Nachtflüge, nämlich die verbleibenden 58 %, kommt die Lärmkontingentierung also erst gar nicht zur Anwendung. Dadurch vernachlässigt die Entscheidung das besondere Ruhebedürfnis in der Einschlaf- und Aufwachphase.

Darüber hinaus ist eine Verlagerung der nächtlichen Flüge in die nicht kontingentierten Zeiten zwischen 22.00 und 23.00 Uhr sowie 05.00 und 06.00 Uhr zu befürchten. Die Genehmigungsbehörde behält sich zwar bei einem "unvertretbaren Anstieg" der Flugbewegungen in diesen Randstunden weitergehende betriebsbeschränkende Regelungen vor – unserer Ansicht nach ist jedoch gar kein weiterer Anstieg mehr vertretbar.

Fünftens beinhaltet die vorläufige Entscheidung vom 26.04.2001 die Vorgabe, im Winterflugplan 2001/2002 Luftfahrzeuge der Lärmkategorien 5 bis 7 in der Zeit von 23.00 bis 5.00 Uhr "möglichst nicht mehr" einzusetzen. Die nun vorliegende Entscheidung für die Flugpläne von 2002 bis 2006 sieht einen derartigen Ansatz nicht mehr vor und stellt dadurch eindeutig eine Verschlechterung gegenüber der vorherigen Entscheidung dar.

Sechstens enthält die vorläufige Entscheidung für den Winterflugplan 2001/2002 die Vorgabe, "die Nachtflugbewegungen [...] so auf das vorhandene Start- und Landebahnsystem zu verteilen, dass sich daraus insgesamt eine geringst mögliche Beeinträchtigung der Bevölkerung ergibt". Die aktuelle Entscheidung enthält eine solche Vorgabe nicht mehr. Die Pauschalierung des Lärmkontingents birgt somit die Gefahr einer ungleichen Verteilung der nächtlichen Flugbewegungen auf die einzelnen Flugrouten und somit der unverhältnismäßigen Belastung einzelner Gebiete.

Siebtens berücksichtigt die Entscheidung nicht die Divergenz zwischen koordinierten und tatsächlichen Nachtflügen. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Zahl der tatsächlichen Nachtflüge wesentlich höher war als die der geplanten Nachtflüge. Somit wird der tatsächliche nächtliche Fluglärm über den im Lärmkontingent vorgesehenen Werten liegen. Aus diesem Grund ist, um die Belastung der Bevölkerung durch nächtlichen Fluglärm schnellstmöglich auf ein gesundheitlich vertretbares Niveau zurückzuführen, eine Korrektur der Lärmkonten nach unten notwendig.

Darüber hinaus ist zu kritisieren, dass sich eine Überschreitung des Lärmpunktekontos lediglich auf die Planung des Flugbetriebs im nächsten Jahr auswirkt, aber keine Konsequenzen für den Flughafenbetreiber und die Fluggesellschaften mit sich bringt. Dadurch, dass im Folgejahr eine Überschreitung des verringerten Lärmkontingents genau so wenig geahndet wird, ist die Verpflichtung zur Einhaltung des Lärmkontingents nur theoretisch gegeben.

Schließlich mag die Unterscheidung zwischen der Lärmkontingentierung im Sommer- und im Winterflugplan aus flugbetrieblichen Gründen nachvollziehbar sein, das Ruhebedürfnis der Bevölkerung wird jedoch gerade durch Überflüge während der heißen Jahreszeit stärker gestört als im Winter, wenn die Fenster geschlossen bleiben.

 

II. Zur Fristverlängerung zur Erstellung der Lärmgutachten

Die Fristverlängerung bis 31.12.2001 ist völlig inakzeptabel. Es kann nicht angehen, dass aufgrund eines fünf Tage nach Ablauf der Frist verfassten Schreibens der Fraport AG eine nachträgliche Fristverlängerung gewährt wird. Auch die gewährte Zeitspanne von einem halben Jahr steht in keiner Relation zur ursprünglich gewährten Bearbeitungszeit von knapp drei Monaten. Schließlich rechtfertigt die Begründung, es herrschten personelle Engpässe bei den Gutachtern, keine Verlängerung der Frist.

 

III. Zur Einordnung der Entscheidung in die aktuellen Entwicklungen im Bereich nächtlichen Fluglärms

Die in der vorliegenden Entscheidung eingeführte Lärmkontingentierung ist insbesondere vor dem Hintergrund der Entwicklung des nächtlichen Fluglärms am Flughafen London-Heathrow und des kürzlich hierzu ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte äußerst kritisch zu sehen.

Das 1993 für den Flughafen London-Heathrow eingeführte sog. "noise quota scheme" weist eine auffallende Ähnlichkeit mit der in der vorliegenden Entscheidung in Frankfurt einzuführenden Lärmkontingentierung auf. Danach werden in Heathrow für alle nächtlichen Flugbewegungen 0,5 bis 16 Lärmpunkte in Abhängigkeit der jeweiligen Lärmkategorie vergeben, wobei auch dort eine festgelegte Gesamtlärmpunktzahl nicht überschritten werden darf.

Wie für den Flughafen Frankfurt vorgesehen, gilt diese Kontingentierung jedoch auch in Heathrow nicht für die gesamte Nacht sondern nur für eine begrenzte Zeit, dort von 23.30 bis 6.00 Uhr.

Infolge der Einführung dieser Regelung wurde die Zahl der geplanten Bewegungen während der kontingentierten Zeit etwa auf dem Niveau von 1993 gehalten. Während der gesamten Nachtzeit jedoch nahm die Zahl der geplanten Flugbewegungen drastisch zu, wobei die Zeit von 6.00 bis 7.00 Uhr besonders stark betroffen war. Diese in London-Heathrow zu beobachtende Entwicklung untermauert unsere obige Argumentation und spricht deutlich gegen die Einführung derartiger Lärmkonten für einen Teil der Nacht.

Zudem ist in diesem Zusammenhang das am 2. Oktober 2001 erlassene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, in dem ein Verstoß der britischen Regierung gegen Artikel 8 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Artikel 13 (Recht auf wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz bei Verletzung der Menschenrechte) der Europäischen Menschenrechtskonvention festgestellt wurde.

Da dieses Urteil nicht ohne Folgen für die Regelung der Nachtflüge sowohl am Flughafen London-Heathrow als auch an anderen europäischen Großflughäfen bleiben wird, verliert das bisher häufig angebrachte Argument, ein Nachtflugverbot am Flughafen Frankfurt verringere dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit, an Gewicht.

Schließlich steht die vorliegende Entscheidung in krassem Widerspruch zu der Zusage von Ministerpräsident Koch zu einem Nachtflugverbot. Mit der in der Entscheidung vorgesehen Lärmkontingentierung wird ein Nachtflugverbot zumindest bis 2006 grundsätzlich ausgeschlossen.

Als Vertreterin von über 40 Gemeinden, Städten und Kreisen des Rhein-Main-Gebietes bleibt die KAG Flughafen Frankfurt bei der Forderung nach einem generellen Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr. Des weiteren fordern wir die zügige Vorlage eines überarbeiteten lärmphysikalischen Gutachtens sowie eines Bodenlärmgutachtens, so dass die Erkenntnisse daraus noch in das bevorstehende Raumordnungsverfahren einfließen können. Andernfalls muss das Raumordnungsverfahren entsprechend verlängert werden.

Darüber hinaus fordern wir Sie zur Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bzgl. der Nachtflüge am Flughafen London-Heathrow auf.

Mit freundlichen Grüßen

 

 

gez. Schmitt

Vorsitzender der KAG Flughafen Frankfurt/Main

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